"So lange ich Reichskanzler bin,
treiben wir keine Kolonialpolitik. Wir haben eine Flotte,
die nicht fahren kann... und wir dürfen keine
verwundbaren Punkte in fernen Weltteilen haben, die den
Franzosen als Beute zufallen, sobald es losgeht"3,
sagte Bismarck 1881.
Welche Umstände 1884 den Reichskanzler
Otto von Bismarck trotz seiner Skepsis gegenüber
Kolonien veranlaßt haben, Gebiete im Übersee unter
deutschen Schutz zu stellen, soll in diesem Referat
erläutert werden. Es werden ökonomische, innen- und
außenpolitische Gründe besprochen, die dazu beigetragen
haben, die 30 Jahre dauernde Kolonialepoche in
Deutschland anzufangen. Dabei wird besonders auf das
Verhältnis Bismarcks zu anderen Kolonialmächten im
Zusammenhang mit seiner Bündnispolitik in Europa
eingegangen.
Außerdem werden Argumente der Parteien im
Parlament genannt und das Verhältnis dieser zu Bismarck
analysiert. Weiterhin wird die Kursänderung in der
Kolonialpolitik nach der Thronbesteigung des Kaisers
Wilhelm II. und die damit zusammenhängende Entlassung
Bismarcks 1890 beleuchtet.
Da die Betrachtung der nichteuropäischen
Kolonialmächte (wie USA o.ä.) den Rahmen dieses
Referats sprengen würde und weil Bismarcks Außenpolitik
sich zum großen Teil auf Europa beschränkte, wollen wir
uns in dieser Arbeit auf den okzidentalen Imperialismus
beschränken. Das soll nicht heißen, dass alleine Europa
im 19.-20. Jahrhundert Kolonien besessen hat.
Auch Probleme in den Kolonien, u. a.
Aufstände der Eingeborenen, Gegenmaßnahmen des Reiches
sollen nicht erläutert werden..
Nach dem Deutsch-Französischen Krieg
1870/71, bei dem Frankreich gegen die deutschen Staaten
unter Führung Preußens verlor, wurde Bismarck
Reichskanzler im neu gegründetem Deutschen Kaiserreich.
Außerdem übernahm der frühere Ministerpräsident von
Preußen das Amt des Außenministers. Der preußische
König Wilhelm I. ließ sich am 18. Januar 1871 zum
Deutschen Kaiser proklamieren. Politisch verhielt sich
der Kaiser sehr passiv. Auch wenn ihm die Politik
Bismarcks nicht immer gefiel, ließ er ihn agieren und
legitimierte sein politisches Handeln.
Das Hauptziel Bismarcks war es, Frieden in
Europa zu sichern. Dies gelang durch eine komplizierte
Bündnispolitik. Der Reichskanzler erklärte das Deutsche
Kaiserreich für "saturiert", also nicht
expansionswillig. Bismarck sah Frankreich als einen
möglichen Unruhestifter in Europa, da es in Frankreich
nach dem Deutsch-Französischen Krieg Revanchegefühle
gegenüber dem Deutschem Reich gab. Diese entstanden
dadurch, dass Frankreich die größten Teile Elsaß
und Lothringens, wo sich große Eisenerzvorkommen
befanden, an Deutschland abtreten und 5 Milliarden Francs
Reparationen zahlen musste. Bismarck wollte den
"Status quo" in Europa erhalten und war
deswegen nicht an Auseinandersetzungen mit Nachbarstaaten
interessiert. Isolation Frankreichs war praktisch das Ziel
aller Bündnisse.
1878 wurde infolge von Spannungen zwischen
Russland und Deutschland ein Zweibund aus Österreich und
Deutschland gegründet, der 1882 durch den Beitritt
Italiens zum Dreibund erweitert wurde. 1881 konnte das
Verhältnis zu Russland durch das Dreikaiserbündnis
(Deutschland, Österreich, Russland) verbessert werden.
1887 wurde ein Rückversicherungsvertrag mit Russland
geschlossen, der eine Neutralität Russlands bei einem
Konflikt Deutschlands mit Frankreich versicherte.
Bismarck ging zunächst mit
Nationalliberalen zusammen, die ihn in der
Wirtschaftspolitik und im Kulturkampf gegen die
katholische Kirche und das Zentrum von 1871 bis 1878
unterstützten. Mit dem Pontifikat Leos XIII. (1878-1903)
normalisierte sich das Verhältnis Deutschlands zur
Kirche. Ab 1878 begann Bismarck sozialdemokratische
Vereinigungen zu bekämpfen, die infolge der
fortschreitenden Industrialisierung schnell erfolgreich
wurden. Bismarck befürchtete eine Revolution der
Arbeiter. Am 21. Oktober 1878 wurde das Sozialistengesetz
beschlossen, das alle Sozialdemokratischen Vereinigungen,
die den "Umsturz der bestehenden Staats- und
Gesellschaftsordnung" zum Ziel hatten und
Gewerkschaften verbot. Ab 1883 wurden
Sozialversicherungen als weiterer Schutz vor einem
Arbeiteraufstand von Bismarck eingeführt.
Bismarck legte den Schwerpunkt seiner
Politik auf die Erhaltung des "Status quo" in
Europa. Er wollte nicht die Nachbarstaaten durch Erwerb
von Kolonien reizen und dadurch möglicherweise einen
Krieg auslösen. Besonders befürchtete er Probleme mit
England, die eine expansive Kolonialpolitik Deutschland
als unfreundlichen Akt ("unfriendly rivalry")
werten könnte. Ein Angebot der Franzosen 1871, die ihren
Kolonialbesitz in Cochinchina an das Deutsche Reich
abtreten wollten, lehnte Bismarck ab: "O! O!
Cochinchina" Das ist aber ein sehr fetter Brocken
für uns; wir sind aber noch nicht reich genug, um uns
den Luxus von Kolonien leisten zu können."4.
Bismarck war sich der Kosten der Kolonien vollkommen
bewusst. Kolonien mussten geschützt werden, dazu war
eine Flotte nötig und zur Verwaltung wurden Beamte
benötigt. Die Ausgaben dafür standen nach Ansicht
Bismarcks in keinem Verhältnis zu dem wirtschaftlichen
Nutzen der Kolonien. Noch 1881 erklärte Bismarck: "So
lange ich Reichskanzler bin, treiben wird keine
Kolonialpolitik. Wir haben eine Flotte, die nicht fahren
kann... und wir dürfen keine verwundbaren Punkte in
fernen Weltteilen haben, die den Franzosen als Beute
zufallen, sobald es losgeht".3
Deutschland ist im Vergleich zu anderen
europäischen Ländern erst sehr spät in die
Kolonialpolitik eingestiegen. Das liegt nicht zuletzt an
der hartnäckigen antikolonialen Politik Bismarcks bis in
die Mitte der 80er Jahre. Ein weiterer Grund für die
Verspätung Deutschlands in der Kolonialpolitik war die
späte Industrialisierung. Denn wichtige Aspekte für den
Erwerb von Kolonien waren Rohstoffressourcen und
Absatzmärkte in diesen Gebieten, die der Industrie
nützten.
Die Hauptargumente der Befürworter der Kolonialpolitik
bezogen sich auf die Innenpolitik. Der wichtigste Vorteil
der Kolonien war für sie der "Export der sozialen
Frage". Großgrundbesitzer Ernst von Weber und der
Leiter der Rheinischen Mission in Barmen, Friedrich Fabri
sprachen von einem "Ventil für soziale Spannungen
in Deutschland". Durch die Industrialisierung in
Deutschland war nicht nur ein großes
"Arbeiterproletariat" entstanden, der eine
Gefahr für das bestehende Staatssystem bildete, sondern
durch eine Verbesserung der hygienischen und
medizinischen Versorgung erfolgte auch ein rapider
Anstieg der Bevölkerung (von 1875-1913 erhöhte sich die
Reichsbevölkerung um 25 Millionen = +60%). Man hoffte,
das Problem zu entschärfen, indem man Deutschen die
Möglichkeit gab, in deutsche Gebiete im Übersee
auszuwandern. Ein weiterer Grund für die Einlenkung
Bismarcks war seine Einstellung gegen Sozialdemokraten.
Die Wahlen standen für den 28. Oktober 1884 an und der
Reichskanzler wollte die Kräfte im Parlament stärken,
die seine Politik unterstützten. Da auch in der
Bevölkerung eine prokoloniale Stimmung herrschte, hoffte
Bismarck mit seiner Kolonialpolitik die
Nationalliberalen, die Verfechter des
Kolonienerwerbs schlechthin, zu stärken und damit die
Sozialdemokraten zu schwächen.
Schließlich wollte Bismarck das Interesse der
Bevölkerung nach außen ablenken, um innenpolitische
Probleme zu verschleiern und die Gefahr einer Revolution
zu verringern. Bismarck: "...den Deutschen ein
neues Ziel zu setzen, für das sie sich begeistern
können."2Das ist ein
der vielen Strategien des Reichskanzlers gewesen, um die
von ihm so gefürchtete Arbeiterbewegung zu verhindern.
Der wirtschaftspolitische Hauptgrund für
die Aufgabe der Zurückhaltung Bismarcks zur
Kolonialpolitik war die Sorge um den Außenhandel. Die
Kolonialmächte (besonders Frankreich, England und
Spanien) errichteten große Zollschutzzonen um ihre
Einflußbereiche und beschränkten damit den freien
Handel, der besonders Deutschland benachteiligte. Da der
landwirtschaftliche Produktionsanteil am gesamten
deutschen Wirtschaftsmarkt wegen einer Agrarkrise 1976
absank und auch die Industrie Absatzprobleme bekam, wurde
diese Situation als "Überproduktions- und
Absatzkrise" verstanden.
Man dachte, die Konjunktur könnte durch
neue Rohstoffquellen und Absatzmärkte belebt werden.
Besonders der zu der Zeit herrschende Konjunkturtief (von
1882 bis 1886) begünstige die prokoloniale Stimmung der
Wirtschaft. Man wollte "Handels-, Bergbau- und
Plantagenkolonien" gründen und den Handel
intensivieren. H.U. Wehler sieht die Kolonialpolitik als
ein Mittel zur Bekämpfung von Depressionen in der
Wirtschaft: "Der pragmatische Expansionismus
bildete daher einen Teil derjenigen Aktionen, mit denen
der heranwachsende Interventionsstaat, der auf der Suche
nach wirtschaftlicher Dauerkonjunktur und ihrer Steuerung
die ungleichmäßige Entwicklung einzugrenzen suchte, zu
Frühformen einer antizyklischen Konjunkturpolitik
fand."7
Auch außenpolitische Argumente der Kolonienbefürworter
waren bei der Entscheidung Bismarcks für Kolonien
wichtig. Durch die Einigung des Reiches 1870/71 war das
nationale Bewusstsein der Deutschen immens gestiegen.
Deutschland konnte wirtschaftlich mit anderen
europäischen Ländern mithalten. Es fehlten im Vergleich
zu anderen Wirtschaftsmächten lediglich Kolonien. Um
eine Großmacht zu sein, müsse man Kolonien haben, war
die Einstellung der Kolonienbefürworter. Der
französische Ökonom Pierre Paul Leroy-Beaulieu sagte: "Diejenige
Nation ist die größte der Welt, welche am meisten
kolonisiert; wenn sie es heute nicht ist, so wird sie es
morgen sein."4Dieses
Zitat brachte manche Leute zum Nachdenken, ob Deutschland
noch lange ohne Kolonien prosperieren konnte.
Der zweite außenpolitische Grund für das Nachgeben
Bismarcks war die für ihn günstige Konstellation der
Kolonialmächte Frankreich, England und Russland. Diese
hatten größere Konflikte wegen Streitigkeiten um
Kolonien zu befürchten. In Afghanistan stand England
kurz vor einem Krieg mit Russland. Auch in Ägypten gab
es Streit zwischen Frankreich und England. Da die
Kolonialmächte abgelenkt waren, wagte Bismarck den
Schritt, Gebiete im Übersee unter deutschen Schutz zu
stellen.
Die Nationalliberale Partei war ein
Verfechter der Kolonialpolitik. Die Mitglieder waren in
Kolonialgesellschaften engagiert und forderten aus
verständlichen Gründen den Erwerb von Kolonien. Die
Position behielten sie bis zum Ende des Kaiserreiches.
Konservative Parteien, zu denen
Freikonservative und Deutsch-Konservative gehörten,
vertraten die Interessen der Landwirtschaft und
Großagrarier (Deutsch-Konservative) und der
Großindustrie und der Hochfinanz (Reichs- und
Freikonservative). Die Meinung zu Kolonien waren sehr
gespalten. Die Repräsentanten der Agrarier erwarteten
zwar eine Belebung des Schnapshandels, fürchteten jedoch
einen Fall der Preise durch Überproduktion aus
Koloniegebieten. Auch die Freikonservativen schwankten
zwischen den beiden Positionen. Dennoch unterstützten
die Konservativen Bismarck während seiner
Expansionspolitik.
Unterschiedliche Positionen besaß auch
das katholische Zentrum bei der Kolonialdiskussion. Im
Vordergrund der Argumente der Partei stand die
Missionierung der Eingeborenen in den Kolonien. Das
Zentrum hatte zwar moralische und finanzielle Bedenken
gegen das Vorgehen in Afrika, war jedoch überwiegend
prokolonial eingestellt, obwohl sich in der Partei
verschiedene soziale Schichten der Bevölkerung befanden.
Das Zentrum wollte gegen den Sklavenhandel in Afrika
vorgehen. Deshalb ließ sich diese Partei leicht um die
Zustimmung für Etats für Kolonien überreden.
Am Anfang der Kolonialpolitik waren die
Linksliberalen, zu denen die Deutsche Volkspartei und
Freisinnige Volkspartei gehörten, gegen die Kolonien.
Sie begründeten ihre Einstellung mit der
wirtschaftlichen Ineffizienz der Gebiete im Übersee.
Erst nach der Jahrhundertwende begannen die
Linksliberalen bis auf wenige kleine Abspaltungen die
Kolonialpolitik zu unterstützen. Die kritische Meinung
der Partei schildert Eugen Richter, ein Abgeordneter der
Freisinnigen Volkspartei 1898 in seinem "Politischen
ABC": "Die 1884 eingeleitete Kolonialpolitik
hat dem deutschen Volke bis jetzt ca. 100 Millionen M.
Kosten verursacht, einer erheblichen Anzahl von deutschen
Offizieren und Beamten das Leben gekostet, Streitigkeiten
mit anderen Kolonialstaaten veranlaßt, das Ansehen
Deutschlands durch das Verhalten deutscher Beamten in den
Kolonien geschädigt, ohne daß der Zweck einer
Kolonialpolitik, wirtschaftliche Vorteile aus dem
Kolonialbesitz zu ziehen....erreicht worden wäre". Anschließend
kritisiert er den Späteinstieg Bismarcks in die
Kolonialpolitik: "Was in überseeischen Gebieten
sich irgendwie für den Kolonialbesitz eignete, ist
längst vor 1884 durch andere Kolonialstaaten in Besitz
genommen worden."1
Die Sozialdemokraten galten als die
größte und stärkste antikoloniale Gruppierung. Diese
vertraten Interessen der Arbeiter und sahen die
Kolonialpolitik als Stärkung und Verlängerung des
Kapitalismus, den es zu bekämpfen galt. Auch die
Nachfolgerpartei SPD war zunächst gegen Kolonienerwerb.
Der SPD-Vorsitzende August Bebel sagte am 26.1.1889 im
Reichstag aus: "Im Grunde genommen ist das Wesen
aller Kolonialpolitik die Ausbeutung einer fremden
Bevölkerung in der höchsten Potenz"5
Nach der Jahrhundertwende änderte die SPD
jedoch ihre Meinung und stimmte für die Kolonialpolitik.
August Bebel stellte 1906 im Reichstag fest, dass "Kolonialpolitik
an und für sich kein Verbrechen sei (...). Es käme nur
darauf an, wie die Kolonialpolitik betrieben wird."4
1884 schien es so, als ob Bismarck die
Kolonialpolitik Deutschlands billigte, da er sie für
seine innen- und außenpolitische Ziele nutzen wollte.
Die Bekämpfung der Sozialdemokratie und Beibehaltung des
"Status quo" in Europa sollten die Hauptziele
der Politik bleiben. Dadurch dass England und Frankreich
in Ägypten und in Afghanistan abgelenkt waren, war ein
reibungsloser Einstieg in die Kolonialpolitik möglich.
Außerdem verstand es Bismarck weiterhin, sich
außenpolitisch defensiv zu verhalten. Exemplarisch ist
dafür der Gebrauch des Terminus
"Schutzgebiete" anstatt "Kolonien".
Damit wollte er seine Absicht, Überseegebiete für
innenpolitische und wirtschaftliche Ziele und nicht zur
Machterweiterung nutzen, noch einmal bekräftigen. Somit
wollte er die Provokation anderer Kolonialmächte
verhindern.
Um die Interessenschaften von
Privatinverstoren zu vereinigen, wurden zur Zeit der
Kolonialpolitik Deutschlands Kolonialgesellschaften
gegründet. 1884 gründete Carl Peters die
"Gesellschaft für deutsche Kolonisation" und
im Jahr darauf die "Deutsch-Ostafrikanische
Gesellschaft". Im selben Jahr wurde auch die
"Deutsche Kolonialgesellschaft für
Südwestafrika" errichtet.
Ein einzelner Kaufmann konnte in den
meisten Fällen wenig Einfluß auf die Politik ausüben.
Durch Zusammenschlüsse der einzelnen Privatinvestoren
entstand eine Lobby, die genügend Druck auf die
Staatsführung ausüben konnte, um ihre Ziele zu
erreichen. Sicherung der wirtschaftlichen Prosperität
durch Erwerb von Kolonien war die Hautpintention der
Mitglieder. Ein weiterer Grund war die einfachere
Verwaltung der einzelnen Gebiete.
Die Kolonialgesellschaften waren nicht vom
Staat abhängig, sie hatten primär wirtschaftliche
Interessen und ihre Gebiete würden vom Staat lediglich
im Falle eines Angriffes verteidigt.
Ab 1884 begann die eigentliche
Kolonialpolitik Deutschlands. Innerhalb von 2 Jahren
(1884-86) stellte das Deutsche Reich mehrere Gebiete in
Südwestafrika, Togo, Kamerun, Ostafrika und in Pazifik
unter Schutz. Bismarck wollte seine Kolonialpolitik nach
dem Vorbild Englands gestalten. Privatunternehmen wurde
es mit Hilfe der staatlichen Schutzbriefe ermöglicht,
sicher vor Ort zu agieren. Die staatliche Intervention
sollte auf ein Mindestmaß reduziert werden.
Adolph Lüderitz, ein Bremer Kaufmann,
erwarb 1884 ein Küstengebiet um die Bucht Angra Pequea,
für 500 Pfund und 60 Gewehre vom Häuptling Joseph
Fredericks. Das erworbene Stück Land wurde das
Basisstück für das spätere Deutsch-Südwestafrika.
In ähnlicher Weise war die Annektierung
Deutsch-Ostafrikas vonstatten gegangen. 1884 wurden durch
Carl Peters private Gebiete in Südostafrika in Besitz
genommen. Der erbetene Schutz für die Erkundung
Ostafrikas wurde von Bismarck wegen seiner persönlichen
Abneigung zu Carl Peters abgelehnt. Nichtsdestotrotz
stattete Dr. Carl Peters eine Expedition ins Landesinnere
von Ostafrika aus und konnte durch dubiose
Geschäftspraktiken den heimischen Häuptlingen ein
riesiges Territorium abhandeln. Nach dem Erwerb des
Landes erbat Peters mehrmalig staatlichen Schutz von
Bismarck. Dieser lehnte die Bitten Carl Peters
immer wieder ab bis dieser drohte, das von ihm erworbene
Land an Belgien zu verkaufen. Da Bismarck eine
Erweiterung der Belgischen Gebiete in Zentralafrika
(Belgisch-Kongo) fürchtete, war Bismarck bereit, die
Gebiete Ostafrikas, welche im Besitz von Peters waren,
unter deutschen Schutz zu stellen. Durch diese
Inschutznahme von Deutsch-Ostafrika manövrierte sich
Deutschland in eine außenpolitisch gefährliche Lage.
England fühlte sich durch das neue deutsche Schutzgebiet
gefährdet, da der Seeweg nach und von Indien direkt an
der ostafrikanischen Küste vorbei führte und eine sehr
wichtige strategische Bedeutung für das Empire hatte.
Außerdem ging der Landweg von Ägypten nach Südafrika
durch dieses Gebiet, der ein wichtiger
"Lebensnerv" des Afrikahandels war. Diese
Umstände verursachten Befürchtungen in der englischen
Regierung.
Die von Bismarck favorisierte
Organisationsform der Handelskolonie, getragen von privat
finanzierten Gesellschaften, scheiterte bereits nach
wenigen Jahren.
Bereits im Herbst 1886 erwarb der Staat
Anteile an der Deutschen Ostafrikanischen Gesellschaft im
Wert von einer halben Million Mark und wurde somit zum
größten Anteilseigner. Bis 1. Januar 1891 wurden alle
Schutzgebiete in Kronkolonien umgewandelt, da sich die
Kolonien für die Betreiber nicht wirtschaftlich
rentierten. Geringe Export- und Importbilanzen
entsprachen bei weitem nicht den erwarteten Zahlen.
Auch politische Wünsche der
Kolonialbefürworter erfüllten sich nicht. Lediglich 1200 Menschen
wanderten innerhalb von 13 Jahren (1880-93) in die
außereuropäischen Gebiete aus. Der weitaus größere
Teil versuchte sein Glück wie schon seit Jahrzehnten auf
dem amerikanischen Kontinent. Der Abgeordnete der
Freisinnigen Volkspartei Eugen Richter führte als
Gründe für die Auswanderungshemmungen schlechte Klima-
und Bodenverhältnisse in den Kolonien an. Europäer
könnten in den Schutzgebieten wegen des tropischen
Klimas keine körperliche Arbeit verrichten. Außerdem
bestehe die Gefahr der Ansteckung mit tropischen
Krankheiten. Das einzige deutsche Schutzgebiet, das nicht
in den Tropen liege, sei Südwestafrika. Wegen Mangel an
Wasser und Holz seien jedoch in diesen Gebiet jegliche
Versuche zur Bodenbearbeitung gescheitert.
Vielmehr verursachten deutsche
Überseegebiete immense Kosten für das Deutsche
Kaiserreich. Die Unterhaltungskosten der Beamten und die
Entsendung der Schutztruppen, um immer wieder vorkommende
Aufstände der Eingeborenen aufzulösen, bedingten
horrende Unkosten.
Im Juni 1888 bestieg Wilhelm II. im Alter
von 29 Jahren den deutschen Kaiserthron. Dieser wollte
sich viel intensiver mit der Politik befassen, als es
sein Großvater Wilhelm I. getan hat. Mit seinem
aufbrausenden Temperament und seiner Begeisterung für
alles Militärische "verschärfte er den Ton
deutscher Politik erheblich". Die Differenzen
vom Bismarck und Wilhelm II. führten zur Entlassung des
Reichskanzlers Bismarck.. "Hauptsächlich wegen
des persönlichen Gegensatzes zwischen dem alten Kanzler,
der seine Machtstellung behaupten will, und dem nach dem
"persönlichen Regiment" strebenden jungen
Kaiser."6
Alle Kolonien ließ der Kaiser Wilhelm II.
1891 dem Auswärtigen Amt in Berlin unterstellen. Der
Kaiser gab auch die defensive Kolonialpolitik Bismarcks
auf. Er wollte für die "zu spät gekommene
Nation" einen "Platz an der Sonne
schaffen". Im Gegensatz zu Bismarck wollte er durch
Erwerb von Kolonien die Macht Deutschlands stärken. Das
Schüren nationaler Gefühle der Deutschen und die
provokative Aufrüstung (u.a. Risikoflotte Tirpitz)
ließen das komplizierte Bündnis- und
Gleichgewichtssystem Bismarcks endgültig
zusammenbrechen. Letztendlich führte u. a. die
Wilhelminische Politik zu Spannungen in Europa, die zu
wichtigen Gründen für den I. Weltkrieg zählen.
Bismarcks
Außenpolitik war vor 1884 defensiv und auf Frieden
ausgerichtet. Er bezeichnete Deutschland als
"saturiert" , trotzdem engagierte er sich ab
1884, zunächst allerdings zögernd, kurzzeitig für den
Erwerb deutscher Kolonien in Afrika und im pazifischen
Raum.
Bismarck versuchte durch seine
Kolonialpolitik, die von ihm angestrebten innen- und
außenpolitischen Ziele zu erreichen. Dies gelang ihm
trotz seiner Bemühungen nicht. Der wirtschaftliche Ruin
der Kolonialgesellschaft und die Grundhaltung des Wilhelm
II. verhinderten das Erreichen seiner gewünschten Ziele.
Es ist sehr schwierig, eindeutig zu sagen,
was die Hauptintention Bismarcks für die Kolonialpolitik
war. War es der wirtschaftliche Aspekt oder die innen-
und außenpolitischen Gründe, die Bismarck zum Einlenken
führten? Wir sind der Meinung, dass für Bismarck die
innen- und außenpolitischen Gesichtspunkte eine
Priorität darstellten, da sie eine Fortsetzung seiner
Politik der 70er und Anfang 80er Jahre waren.
Wirtschaftliche Aspekte waren eher ein Mittel zum Zweck
der Bekämpfung der Sozialdemokratie durch Stärkung der
Industrie und die Förderung des
"Menschenexports" durch Etablierung von
Industrie in den Kolonien.
1RICHTER, Eugen: Politisches
ABC = Buch für freisinnige Wähler Berlin, 1898, 9.
Auflage; aus Eugen-Richter-Archiv von Hansjörg Walther,
Online im Internet: URL:
http://www.nineties.com/eugen-richter/ [Stand: 10.8.1997]
2BODE, Matthias: Das
Schulsystem der deutschen Kolonien 1885-1915; Online im
Internet: URL:
http://stud-www.uni-marburg.de/~Bode/kolo.htm [Stand:
11.1997]
3GALL, Lothar: Bismarck, 1980,
Verlag Ullstein
4HAUKE, Haien: Die Krise der
deutschen Kolonialpolitik. Die großen Aufstände in
Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika 1904-07,
Online im Internet: URL:
http://members.aol.com/haukehaien/ [Stand: 25.5.97]
5NESTVOGEL, R., TETZLAFF, R,
Afrika und der deutsche Kolonialismus, Zivilisierung
zwischen Schnapshandel und Bibelstunde, Dietrich Reimer
Verlag Berlin, Hamburg, 1987
6PLOETZ: Deutsche Geschichte,
Epochen und Daten, Das illustrierte Nachschlagewerk,
Freiburg/Würzburg, 1979
7WEHLER, Hans-Ulrich, Das
Deutsche Kaiserreich 1871-1918, Kleine Vandenhoeck Reihe
Deutsche Geschichte Band 9, 1973, Göttingen